Joana Breitbart
04.04.2021 in Nairobi
Reisewoche 25-30
(27.02.21-04.04.21)
Ca. 3000 Kilometer gefahren mit VW Passat
13:30 Nairobi Ortszeit. Geschlaucht und müde durch den Flug von Khartoum über Addis Abeba, der mit Umsteigen fast zwölf Stunden in Anspruch genommen hat, kommen wir am Jomo Keniatta Airport an. Wir haben es eilig, denn wir wollen zu unseren Bikes. Sie sind schon einen Tag vor uns in Nairobi gelandet. Mit gemischten Gefühlen fahren wir mit einem Taxi zum Cargo Center des Flughafens, die negativen Erfahrungen, dir wir in Kairo beim Auslösen der Bikes aus dem Zoll gehabt haben, haben wir nicht vergessen! Hoffentlich wird es diesmal nicht wieder so schwierig. Unser Freund Roland hat uns aber im voraus schon eine hilfsbereite Frachtexpertin des kenianischen Frachtzentrums empfohlen, die sich gut mit Zollangelegenheiten auskennt und auch ihm mit seinem Moped geholfen hat.Ihr Name ist Jane! Wir haben sie schon von Khartoum aus kontaktiert und sie hat bereits einen Tag vor unserer Ankunft mit dem Papierkram begonnen. Wir treffen uns mit ihr vor der Lagerhalle, laufen ein paar mal von Büro zu Büro, bezahlen alle Gebühren und lassen die Carnets stempeln. Fünf Minuten später fährt ein Staplerfahrer die beiden Maschinen aus der Halle und stellt sie vor uns ab. „Das war's“, ruft Jane und amüsiert sich über unsere erstaunten Gesichter. Wir können es kaum glauben! Nach nur zwei Stunden und ca. 170€ pro Bike ist alles komplett erledigt! Da könnte sich Ägypten mal ein Beispiel dran nehmen! Josh fängt an die Mopeds zusammen zu bauen. Leider scheint es, dass meins nicht so gut behandelt wurde, die Scheibe ist ein weiteres Mal gerissen und die Achse des Vorderrads lässt sich nicht mehr als ein paar Gewindegänge rein drehen. Ob mein armes Moped mitsamt Palette abgestürzt ist? Ein Teil des Gewindes ist ausgerissen. Wir werden es nie herausfinden… Josh zimmert es notdürftig zusammen, indem er ein Kugellager aus einem darum liegenden Schwerlast-Rollbrett ausbaut und als Distanzhülse vor das defekte Gewinde einsetzt. Das tut es für die ersten Kilometer. Er wird alles wieder reparieren können, aber ärgerlich ist es doch. Da das Zusammenbauen der Motorräder länger gedauert hat als erwartet, müssen wir jetzt im Dunkeln zu unserer Unterkunft fahren. Das ich dort heil und in einem Stück angekommen bin, wundert mich immer noch. Es ist Feierabendverkehr, die Straßen sind voller LKWs, Kleinbusse, Autos, Mopeds und Menschen. Besonders die Kleinbusse, genannt Matatus, fahren wie sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Erschwerend kommt dazu, dass in Kenia Linksverkehr ist. Für die 20 Kilometer brauchen wir über eine Stunde und ich erlebe mindestens zehn Nahtod-Erfahrungen! An diesem Abend steige ich vom Bike und bin der festen Meinung, nur noch im allernötigsten Notfall in dieser Stadt Moped zu fahren!
Da Josh vor neun Jahren schon einmal einen Trip nach Kenia gemacht hat, besitzt er hier noch viele Kontakte. So haben wir auch unsere Unterkunft in Nairobi gefunden: Wir können bei Kefah und seiner Familie wohnen. Kefah hat Joshua damals kennengelernt, und als dieser gehört hat, dass wir nach Nairobi kommen, hat er uns direkt eingeladen. Er freut sich sehr uns zu sehen und wir werden herzlich aufgenommen. Er hat ein kleines Appartement für uns direkt neben seiner eigenen Wohnung. Seine Frau Corrie bekocht uns jeden Abend göttlich und auch zum Frühstück werden wir jeden Morgen gerufen. Wir fühlen uns sehr wohl und können uns gut an das neue Land, das Klima, die Höhe (Nairobi liegt auf 1800 Metern) und die Kultur gewöhnen. Ich muss zugeben, ich habe einen leichten Kulturschock. Mir wird jetzt erst bewusst, auf was wir im Sudan alles verzichten mussten und wie sehr die arabische Kultur das Leben der Frau, also auch mein Leben, eingeschränkt hat. Es dauert einige Tage, bis ich realisiere, dass ich einfach in kurzem Shirt und kurzer Hose vor die Tür gehen kann und meine Schultern nicht unbedingt mit einem Schal bedecken muss. Es wundert mich anfangs immer, dass viele Frauen hier freizügig und in den schönsten und buntesten Kleidern herum laufen und die Männer dazu keine dummen Bemerkungen machen. Es kommt tatsächlich öfter vor, dass ich Josh frage, ob wir auch genug Benzin im Tank haben, bevor mir einfällt, dass es ja hier an den Tankstellen überall Benzin gibt. Ich bin begeistert über die Vielfalt der Lebensmittel, der Ausstattung in den Motorrad- oder Bekleidungsgeschäften und vor allem von dem Grün dieser Stadt! Vier Monate haben wir uns in Wüstenregionen aufgehalten, vier Monate Staub, Sand, Trockenheit. Jetzt erstrahlt alles in Grün, Büsche blühen in vielen Farben und das Atmen der klaren Bergluft ist eine Wohltat für die Lunge! Wir haben die arabische Kultur und Nordafrika endgültig hinter uns gelassen und tauchen ein in die Vielfalt Ostafrikas. Wir fühlen uns sehr wohl und freuen uns über die vielen neuen Eindrücke. Gleichzeitig denke ich aber auch oft noch wehmütig zurück an die Zeit in Khartoum mit unseren Freunden, die das alles hier nicht miterleben können. So ist es oft auf Reisen: Jeder Neubeginn ist auch ein Abschied.
An den Mopeds ist einiges zu erledigen, was unsere Wartezeit ganz gut überbrückt. Auf was wir warten? Wir bekommen Besuch aus Deutschland! Joshuas Eltern, Lars und Monika, werden zu uns fliegen und vier Wochen mit uns verbringen. Ein paar Tage bis zu ihrer Ankunft bleiben uns noch, die wir also sinnvoll nutzen können. Josh macht die Mopeds fit. Wir finden einen hervorragend ausgestatteten Motocross- und Enduroshop, den ersten vernünftigen seit Italien, RAD254 – Bike Tyres Kenya, und bekommen von Shivam, dem Besitzer und mehrfachen kenianischen Motocross-Champion, eine sehr gute Auswahl zum Freundschaftspreis. (https://instagram.com/myrad254?igshid=xwa6o1tl6kxy). Es gibt neue Hinterreifen für die Bikes, neue Reifenmilch, Endurogriffe, eine Batterie und einen Regenkombi für mich. Obendrauf gibt Shivam uns noch die Nummer eines Kumpels mit einer Werkstatt: Peter! Peter ist in Kenia aufgewachsen, hat aber deutsche Wurzeln und spricht daher fließend deutsch. Er lädt uns kurzerhand in seine Werkstatt ein. Ein Paradies für Josh, die Werkstatt ist umfangreich ausgestattet und mit deutscher Ordnung eingerichtet. Er kann hier alles tauschen und reparieren. (Siehe Technikbericht 02) Peter ist super nett und hilfsbereit. Er bietet uns sogar an, die Motorräder für die Zeit, in der Joshuas Eltern kommen, bei sich unterzustellen. Ein Angebot, welches wir gerne annehmen, da wir in dieser Zeit mit einem Auto unterwegs sein werden. Auch das Auto beschaffen wir in der Zeit des Wartens. Kefah bietet uns an, sein Auto zu nehmen. Er bräuchte es eh nur selten und würde uns damit gerne eine Freude machen. Wir einigen uns schnell, denn für uns ist dies die günstigste Lösung. Sein VW Passat ist zwar kein 4x4, aber trotzdem sehr geländegängig und außerdem Vollkasko versichert. Der Freundschaftspreis von Kefah ist unschlagbar. Es ist für uns ein Vorteil mit einem einheimischen Fahrzeug unterwegs zu sein, Polizeikontrollen werden damit um einiges leichter werden. Einen Tag vor Ankunft der beiden ziehen wir in ein größeres Appartement, denn mit vier Leuten wäre es bei Kefah etwas eng geworden. Er versteht das, wünscht uns für die gemeinsame Zeit viel Spaß und gibt uns sein Auto schon mit. Er zeigt damit viel Vertrauen in uns, was wir sehr schätzen. Ich weiß nicht, ob es einem in Deutschland so einfach passieren würde, dass man mal eben ein Auto für einen Monat von einem neuen Bekannten geliehen bekommt.
Wir ziehen zu Alfred. Ihm gehört ein Grundstück mit fünf Appartements im Stadtteil Kitisuru, in dem auch er selbst mit seiner Frau und seinen vier Kinder wohnt, allerdings nur in der untersten Etage in einem Teil des Komplexes. In den anderen Teilen hat er verschiedene Wohnungen eingerichtet, in denen er Gäste beherbergen kann. Insgesamt 30 Betten kann er vermieten. Wir beziehen eine kleine Wohnung mit Garten im hinteren Teil des Gebäudes. Außer uns sind kaum andere Gäste da und die Wohnungen stehen leer, der Tourismus ist auch hier sehr zurückgefahren. Alfred freut sich, endlich einmal wieder Gäste zu haben und wir freuen uns, ihn ein bisschen unterstützen zu können.
Perfekt vorbereitet stehen wir tags darauf spät abends vor dem Flughafen, um Lars und Moni zu empfangen. Betreten dürfen wir das Gebäude Corona bedingt nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen sie als letztes aus der Halle. Die Freude ist groß und die Umarmungen lang, haben wir uns doch ein halbes Jahr nicht gesehen. Glücklich fahren wir alle zusammen in unser Appartement, indem wir noch drei Tage bleiben und den Urlaub der beiden einläuten. Dann bepacken wir unser Auto und beginnen gemeinsam Kenia zu erkunden. Unser Weg führt uns zuerst in die Berge. Am Wegesrand stehen immer mal wieder unbeirrt grasend Giraffen, Zebras oder Gazellen, überall wo wir anhalten, um Pause zu machen, sind Affen nicht weit. An der sattgrünen Landschaft, den Hügeln, den Seen und den Steppen kann ich mich kaum satt sehen.
Wir genießen die unglaubliche Weite der Steppen Afrikas, halten uns an die kleinen Sträßchen und kommen so in dichten Kontakt mit Land und Leuten. Auch Offroad-Pisten sind hin und wieder einmal dabei, was unserem „Renn-Passat“ keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Einmal allerdings denken Josh und ich zu sehr mit dem Enduro-Hirn: „Das passt schon, da kommen wir schon durch“, sollte man mit vier Rädern unter sich vielleicht nicht so schnell rufen, wie sich im Nachhinein heraus stellt. Die Straße hört plötzlich unvermittelt auf, die Piste wird zur Geröllhalde und wir finden uns in einem steilen, steinigen Terrain wieder. Nach dem ersten Abhang ist dann auch klar, dass wir nicht zurück können, den rutschigen Hügel wieder hochfahren wäre unmöglich. Der Passat hat halt keinen Allrad. Also schieben wir uns deutlich unter Schrittgeschwindigkeit über spitze Steine, sandige Furten und ein paar flache Wasser-Durchfahrten. Wir können uns nur glücklich schätzen, dass die Regenzeit noch nicht begonnen hat und es daher zum Glück wenig Schlamm gibt! Als der Passat sich um die nächste Kurve schiebt, stehen plötzlich zwanzig bewaffnete Soldaten vor uns. Sie schauen nicht schlecht, als da plötzlich vier Weiße aussteigen, fangen sich aber schnell und sind sehr freundlich. Sie machen uns Mut weiter zu fahren, sagen, dass der unwegsame Pfad in zwei Kilometern endet und wir es schon schaffen werden. „Slowly, slowly“ machen wir uns also wieder auf den Weg.
Die Jungs sind auf einer Friedensmission unterwegs, da sich in dieser Gegend verschiedene kenianische Stämme bekriegen. Aufgrund der heftigen Piste hat Moni neben mir sowieso schon Schnappatmung. Die Piste wird auch nicht wie erwartet besser, sondern erst einmal heftiger. Wir müssen noch einen Berg überqueren, es wird wieder sehr steinig und die Spuren sind tief ausgewaschen. Mühsam bugsiert Josh den Passat mit viel Geduld über das Gefälle, wir gehen derweil zu Fuß, um das Fahrwerk zu entlasten. Außer ein paar leichten Aufsetzern passiert zum Glück nichts. 800 Tiefenmeter führt uns die Piste ins Tal, wo sie dann endlich besser wird. Das Geröll wird weniger und ein Weg ist zu erkennen. Uns kommt hier ein Polizei Pickup entgegen. Die Polizisten darin fragen ganz ungläubig, ob wir denn die ganze Piste bis hierher gefahren wären?! Als wir bejahen, fangen sie an zu klatschen und sich zu freuen: „We have never seen a normal car in this area!“ rufen sie. Na vielen Dank auch! Ein großes Lob geht an dieser Stelle an unseren Passat! Nie hätten wir geglaubt, dass so ein Auto solche Pisten fahren kann! Afrika bringt einen immer wieder aufs Neue an Limits. Trotzdem sind wir von nun an bei der Straßenwahl etwas vorsichtiger und bevorzugen dann doch lieber asphaltierte Wege.
Wir erreichen unser Ziel Eldoret, wo wir unserem ehemaligen Wehrdaer Nachbarn einen Besuch abstatten. Rico Keidel ist durch seine Leidenschaft zum Laufen nach Kenia gekommen, wo er zusammen mit den weltbesten Läufern trainiert. Hier hat er seine Freundin Mary kennengelernt und ein kleines Häuschen mit ihr gebaut. Zusammen mit ihrem Sohn Eliud, der mittlerweile ein Jahr alt ist, wohnen sie etwas außerhalb von Eldoret in den Bergen. Mary hat liebevoll vier Betten für uns vorbereitet und bekocht uns die zwei Tage, die wir zu Besuch sind, köstlich. Der kleine Eliud findet schnell Gefallen an uns und beschäftigt Moni und mich zu gerne mit dem Spielen seiner zehn unterschiedlichen Bälle. Lars und Josh legen zusammen mit Rico Hand an, und schließen kurzerhand das Wassersystem fürs Haus an, welches noch nicht fertig gestellt wurde. Wir verbringen zwei schöne Tage bei der kleinen Familie und gehen als Freunde wieder auseinander. Es wird bestimmt nicht unser letztes Treffen gewesen sein.
Von nun an führt die Straße nach Südosten. Wir wollen ans Meer. Auf dem Weg dorthin besuchen wir den Amboseli Nationalpark. Am Gate sind wir positiv überrascht, statt 60$ kostet der Eintritt nur 35$,Corona sei Dank. Alle Nationalparks haben die Preise herunter gesetzt. Es ist doch schön, wenn man diesem Virus auch mal etwas Gutes abgewinnen kann! Am Fuße des Kilimandscharo haben wir einen unvergesslichen Tag in Afrikas Steppe. Unmengen an Elefanten kreuzen unseren Weg, Nilpferde trinken ganz ruhig in den Wasserpfützen neben dem Weg, Hyänen streichen um die Büsche und sogar Geparden können wir im Schatten der Bäume finden! Ich fühle mich wie in einem der unzähligen Filme über Afrikas Tierwelt. Den ganzen Tag verbringen wir im Park und abends schwelgen wir noch in Erinnerungen, während wir vom Campingplatz aus immer noch die im Mondschein leuchtende Schneekuppe des Kilimandscharo sehen können!
Unsere gemeinsame Zeit findet schließlich in Diani, am Galu Beach, etwas südlich von Mombasa unseren „Urlaubshöhepunkt“. Hier mieten wir uns ein Ferienhäuschen direkt am Meer, Mama Moni lädt ein, zu Joshuas 30. Geburtstag. Ich habe noch nie zuvor in so warmem Meereswasser gebadet! Fast 30 Grad. Oft fahren wir mit dem Boot raus, um das ca. zehn Minuten entfernte Riff zu erkunden, an dem es sich hervorragend schnorcheln lässt! Im Anschluss gibt es oft einen wohlverdienten Kaffee in einem der verschiedenen Bars am Strand mit Meeresblick. Ein Urlaub, wie er im Bilderbuch steht! Zu Joshs Geburtstag fahren wir nach Shimoni, einem kleinen Fischerdorf etwas weiter südlich an der Grenze zu Tansania. Hier mieten wir uns ein Boot und fahren ca. eine Stunde hinaus aufs Meer in den Meeres-Nationalpark zum Schnorcheln. Da kann unser kleines Riff vor der Haustür leider nicht mithalten! Wir sehen neben den vielfältigen, bunten Korallenstrukturen Unmengen verschiedener Fische, Seesterne, Moränen und sogar einen Oktopus. Ich fühle mich unter Wasser wie in einer komplett anderen Welt. Oft geht mir beim Schnorcheln nach kurzer Zeit die Puste aus, aber dieses Mal bin ich kaum aus dem Wasser zu bekommen. Sogar Moni, die noch nie vorher geschnorchelt hat,schafft es in dem warmen Wasser auf Anhieb und schwimmt mit uns! Während wir schon auf dem Weg zurück zum Festland sind, begegnen wir einer Gruppe Delfine. Josh springt kurzerhand ins Wasser, um eine Runde mit ihnen zu schwimmen, was sie auch überhaupt nicht stört. Für einige Minuten tauchen sie immer mal wieder ab und wieder auf und lassen ihn mitschwimmen und tauchen. Zum Abschied prusten sie dann noch ein letztes Mal und schwimmen fort ins offene Meer. Am Abend meint Josh, das wäre der schönste 30. Geburtstag gewesen, den er sich vorstellen konnte. Aber eigentlich ist er zum dreizehnten Mal 18 geworden, nur dass das mal klar gestellt sei... ?
Auch der schönste Urlaub geht einmal zu Ende. Der Rückflug von unseren beiden Besuchern naht und so machen wir uns langsam auf den Rückweg nach Nairobi. Zwei anstrengende Fahrtage bedeutet das, der Verkehr um und in Mombasa ist die absolute Hölle, schnell, gefährlich, dicht und staubig. Mit dem Auto allerdings ist es erträglich. Und Josh chauffiert uns. Die Straßen sind voller Schlaglöcher oder der Belag fehlt einfach komplett. Außerhalb der Hafenstadt wird es dann zwar etwas besser, aber die Straße nach Nairobi ist die einzige Hauptverbindung zwischen Mombasa, dem Hochland Kenias und den dahinter liegenden Ländern ohne Küste, Uganda, Ruanda, Burundi und dem Südsudan. Alle Güter, die über den Seeweg kommen, müssen auf LKWs dorthin transportiert werden. Noch dazu steigt die Straße stetig bis auf 1800 Meter an, die völlig überladenen LKWs schleichen daher oft nur noch mit Schrittgeschwindigkeit die Steigungen hoch. Während unserer Mittagspause in einem Straßenrestaurant hören wir dann durch Zufall eine Ansprache des kenianischen Präsidenten an das Volk. Die Coronazahlen sind hier momentan so hoch wie noch nie zuvor, mit ca. 1500 am Tag immer noch weit geringer als in der Heimat, aber trotzdem Besorgnis erregend. Das Gesundheitssystem des Landes ist mit dem des deutschen nicht zu vergleichen und deswegen müssen viel früher Maßnahmen ergriffen werden. Das bedeutet, der Großraum Nairobi und die angrenzenden Gebiete werden in den Lockdown versetzt, was neben Schul- und Restaurantschließungen auch beinhaltet, dass niemand mehr die Stadt betreten oder verlassen darf. Da schauen wir erst einmal etwas sparsam drein. Aber alles Hinterfragen bringt nichts, wir müssen ja sowieso in die Stadt, da Moni und Lars in wenigen Tagen zurück nach Deutschland fliegen werden. Also schwingen wir uns wieder ins Auto und fahren Nairobi entgegen. Eine einzige Polizeikontrolle passieren wir an der Stadtgrenze: Man erzählt uns, die Straße sei wegen des „neuen Gesetzes“ geschlossen, aber nach Klarstellung unseres Problems lässt uns der Polizist ohne Diskussion hinein fahren. Unsere Zweifel waren unbegründet.
Für die letzten gemeinsamen Tage werden wir wieder in unsere Wohnung bei Alfred einziehen. Er freut sich schon auf uns. Am Telefon hat er uns vorher aber noch den Tipp gegeben, wir könnten doch sein Waisenhaus im Nordosten von Nairobi besuchen, welches er komplett selbst aufgebaut habe. Das weckt unser Interesse. Das Amani Children's Home liegt sowieso auf unserem Weg und wir statten ihm gerne einen Besuch ab. Alfred hat uns dort bereits angekündigt, wir werden von „Mama Ruth“ und den Kindern schon erwartet. Ruth ist die Betreuerin der knapp 60 Waisenkinder und 90 externen Schülern aus der Region, die dort leben und lernen. Sie wohnt mit den Waisen dort, schläft mit den Mädchen zusammen in deren Schlafraum und behandelt jedes einzelne Kind, als wäre es ihr eigenes. Stolz schwingt in ihrer Stimme, als sie uns das erzählt. Sie zeigt uns das komplette Anwesen, das auch eine Schule beinhaltet. Bis zur 8. Klasse können die Kinder hier in die Schule gehen, bevor sie in die Highschool im nächstgrößeren Ort wechseln müssen. Die Klassenräume, und auch ein Kindergartenraum, sind in drei verschiedenen Gebäuden untergebracht. Die Schlafräume der Kinder sind separat auf zwei weitere Häusern verteilt, Jungs und Mädchen getrennt. Außerdem gibt es ein Gebäude mit Küche und Speiseraum. Die Anlage bietet zusätzlich viel Platz für einen großen Garten, indem die Kinder unter Anleitung Lebensmittel zur Selbstversorgung wie Mais, Orangen, Avocados usw. anbauen. Insgesamt sind 13 Lehrer und Betreuer im Waisenhaus angestellt, die die Kinder betreuen.
All das wird allein von Alfred finanziert. Er investiert nahezu seine gesamten privaten Einnahmen und wirbt zusätzlich regelmäßig um Spenden. Die Regierung gibt keinerlei Unterstützung, obwohl sie in regelmäßigen Abständen Kontrolleure schickt, um zu schauen, ob bestehende Vorschriften umgesetzt werden. Nach unserem Rundgang sitzen wir gemeinsam mit Ruth und allen Kindern, die zur Zeit vor Ort sind, im Versammlungsraum zusammen. Sie servieren uns Tee und etwas Brot, während sie Lieder für uns singen und uns Fragen über unsere Herkunft und unsere Reise stellen. Vier Weiße sind natürlich unglaublich spannend für sie, besonders der Kleinste mit seinen vier Jahren kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Als Lars ihm dann noch Schneebilder aus der Heimat auf seinem Telefon zeigt, ist es ganz vorbei. Als hätten wir ihn veräppelt schlurft er kopfschüttelnd hinaus – Schnee würde es nicht geben! ? Auch zum Abschied singen uns die Kids noch ein Lied, diesmal auf Kisuaheli. Die Jungs halten stolz das Tor auf und winken uns hinterher. Wir sind sehr beeindruckt über dieses Projekt, das Alfred alleine aus dem Boden gestampft hat und auch heute immer noch zum Großteil alleine finanziert. Als wir schließlich bei ihm in Nairobi eintreffen, erfahren wir noch, dass er früher selbst ein Waisenkind war. Daraus entstand der Wunsch, Waisenkindern zu helfen, ihnen ein Zuhause zu geben und sie nicht mehr leiden zu lassen. Einige der größeren Kinder, mittlerweile junge Erwachsene, helfen ihm jetzt in den Ferien zum Beispiel bei der Arbeit in und um die Schule oder im Haus seiner Familie. Er betont, egal ob seine eigenen Kinder oder die aufgenommenen, er behandelt alle gleich! Wir ziehen den Hut und sind fasziniert von seinem Mut und Willen, dieses Projekt alleine und gerade zu Zeiten von Corona aufrecht zu erhalten. Wer Alfred und das Amani Children’s Home unterstützen möchte, kann gerne eine Spende hinterlassen, wir werden es an ihn weiterleiten!
Wir genießen die letzten Tage in Nairobi zu viert, spazieren durch den Karura Forest, machen eine letzte Stadtrundfahrt und sitzen bei gutem Essen und Rotwein abends lange zusammen. Lars und Moni müssen sich zwischenzeitlich mit viel Bürokratie herum schlagen: Für den Flug nach Frankfurt müssen sie einen Corona Test machen, das negative Testergebnis anschließend ausdrucken, es gleichzeitig als QR Code am Telefon bereit halten und zusätzlich zu alledem online noch im voraus eine digitale Einreiseanmeldung ausfüllen. Aber das gehört zur Reiserealität dazu, wir kennen das schon – uns geht es an jeder Landesgrenze so. Reisenden werden in diesen Zeiten viele Steine in den Weg gelegt. Nach zwei Tagen Planung haben sie schließlich alles zusammen und sind abreisebereit. Wir fahren sie an den Flughafen. Da der Flug um 22:30 Uhr geht, müssen wir in die Ausgangssperre hinein fahren, die bereits um 20 Uhr beginnt. Personen, die andere zum Flughafen bringen oder sie abholen, sind davon aber ausgenommen. So kommen wir ein weiteres Mal ohne Probleme durch die Polizeikontrollen, die es diesmal wirklich sehr genau nehmen. Nach 20 Uhr gleicht Nairobi einer Geisterstadt, die Straßen sind völlig leer gefegt. Am Flughafen laden wir Lars und Moni ab. Mit dem Wissen, dass wir uns wahrscheinlich noch ein weiteres Jahr nicht sehen werden, ist der Abschied traurig. Trotz das es natürlich immer mal kleine Streitereien gab, haben wir vier schöne und erlebnisreiche Wochen zusammen verbracht. Jetzt wird es wieder um einiges ruhiger werden unter unseren Motorradhelmen, und obwohl ich die „Stein-Steinberg-Diskussionen“ zwischen Vater und Sohn in dieser Zeit so oft verflucht habe, werden sie mir doch irgendwie fehlen.
Lars und Moni, Papa und Mama, wir danken euch für euren Besuch, die vielen tollen gemeinsamen Erlebnisse, die starken Nerven, die ihr manchmal mit uns haben musstet, und die Courage, den Weg ,trotz der schwierigen Bedingungen zur Zeit, zu uns gefunden zu haben!